Felix von Bonin: Der Eisenhans
Band 7
Felix von Bonin
Der Eisenhans
Männer brauchen Hilfe
Männer brauchen Hilfe
 
96 Seiten
978-3-88755-237-4

EUR [D] 8,30

Unter dem Kopfkissen der Mutter liegt der Schlüssel

Dass Männer nicht unbedingt immer das starke Geschlecht sind, hat sich herumgesprochen, doch was ist es, das dem Mann immer wieder zur Emanzipation fehlt? Wieso brauchen Männer Hilfe? Und warum wird sie ihnen heute so selten gewährt? Dieses Märchen zeichnet den Weg eines Mannes vom Knaben bis zum erwachsenen Mann, vom Prinzen zum König. Es zeichnet diesen Weg in Etappen der Persönlichkeitsbildung, wie sie von einer kulturellen Gemeinschaft bereitgestellt werden – sollten. Die Werte- und Orientierungslosigkeit junger Männer ist auch Folge eines Mangels an männlicher Einweihung und geistiger Führung. Doch wo sie nicht da ist, so lehrt uns der Eisenhans, musst du sie ergreifen, wenn sich die Gelegenheit bietet. Nimm den Schlüssel und lass Deinen Eisenhans frei!

Was ist das für einer, so ein Eisenhans?

Es gibt viele Märchen, die ihren Titel von der Person haben, von der sie handeln. Dieses Märchen handelt demnach von einem oder dem Eisenhans. Aber ist das nun der Sohn des Königs oder der Kerl im Pfuhl?
Was ist das wohl für einer, der Eisenhans gerufen wird? Sein richtiger Name ist wohl Hans, und der Zusatz Eisen soll diesen Hans charakterisieren. Vielleicht ist Hans Schrottsammler oder Schmied.
Wenn er mit Eisen zu tun hat, dann haben wir eine Vorstellung, wie er aussieht, denn dazu gehört viel Körperkraft. Aber vielleicht sagt uns der Namenszusatz auch, dass Hans eisenhart ist, ein »Ironman«, der sich das Letzte abverlangt. Vielleicht übt er auch eiserne Disziplin, regiert mit eiserner Faust oder kehrt mit dem eisernen Besen aus. Oder ist er ein Eisenfresser?
Auch von diesem Hans haben wir ein Bild. Er ist so ein rechter Kerl, der was wegstecken kann, aber auch austeilen. Er ist hart gegen sich selbst und mehr noch gegen andere. Für Gefühle in ihrer ganzen Bandbreite ist da kein Platz. Für einen Eisernen gibt es nur Körperschmerz oder trunkenen Triumph, für die »gefühlsduseligen« Facetten dazwischen sind »die Weiber« zuständig.
Die Welt des Eisenhans wird mit Angst regiert. Unter dem Druck der vermeintlichen Realitäten verwandeln sich frische Jungker und zarte Jungfern in Eisenmänner und -frauen, in Machtpolitiker, Börsenhaie, Workaholics, Prostituierte, Schwerverbrecher – und regieren diese Welt und ihre Schlagzeilen.
Dann ist der »Eisenmann« eine (unsichtbare) Berufskleidung wie der »Blaumann«. Doch so ein Eisenhans schafft es selten, seinen »Eisenmann« auch mal auszuziehen. Dazu braucht der geharnischte Ritter Hilfe.

Die Abspaltung

Ein idyllisches Bild tut sich auf. Da ist ein König in einem Schloss und dabei liegt ein großer Wald. Hier der Hort der Kultur, der Ordnung, des geregelten Lebens, wohlgeleitet von einer erhabenen Person, dem König; dort die Natur, das Wuchern, die chaotische Kreativität.
Wie selbstverständlich bedient sich der König aus ›seinem‹ Wald. Er schickt einen Jäger ein Wild schießen und der kehrt nicht zurück.
Der König ist arglos, denkt an ein Unglück. Der Jäger könnte sich doch auf und davon gemacht haben oder freiwillig im Wald geblieben sein. Doch der König ist zu selbstherrlich, solche Gedanken zu hegen. Er betrauert nicht einmal den Verlust. Er schickt weitere Jäger, die Sache zu klären. Doch keiner kommt zurück. Die letzte Verbindung, die dem König zum Wald geblieben war, zerreißt, aber ihn scheint das weiter nicht zu bekümmern. Uns wird lediglich berichtet, dass sich nun niemand mehr in den Wald wagte. Der Wald wird tabuisiert, wird abgegrenzt, wird zum verbotenen Ort.
Doch was ist mit dem Wald? Wird er als finsterer, schrecklicher, bedrohlicher Ort beschrieben? Im Gegenteil, in tiefer Stille und Einsamkeit liegt er da, jungfräulich und unberührt, wie in Meditation versunken. Als warte er nur darauf, (wieder-) entdeckt zu werden. Zuweilen sieht man einen Adler oder Habicht darüber fliegen. Den natürlichen Frieden des Waldes unterstreicht das.
Vögel symbolisieren Freiheit, Freiheit der Gedanken, weil sie keine Grenze, keine Regel, kein Gesetz aufhalten kann. Hier ist es der Wald, der abgegrenzt, verboten wurde. Das zuvor so routinierte Spiel zwischen Schloss und Wald wurde durch irgendwas irgendwie gestört. Der Wald hat sich dem jagenden, raubenden Zugriff verweigert. Also haben ihn die kultivierten Schloss-Leute ausgegrenzt. Nur die Vögel, die freien Gesellen, haben noch ungestraften Zugang.
Wozu? Zum Wald, zum Schoß der Natur, wie er auch genannt wird. Die dunkle, ewig und endlos sprudelnde Quelle des Lebendigen, das Urmütterliche, durchatmet und durchwebt den Wald. Das Schloss steht für das gerinnende Männliche, die Ordnung, das Geregelte, Sicherheit und Beständigkeit. Der Wald ist das wirkende Weibliche, das Gären und Brodeln, das Werden und Vergehen, die Hingabe an das Sein.
Der König hat mit der (männlichen) Macht seines ordnenden Verstandes ein gar prächtig Schloss gebaut, in dem es sich alle nur so recht wohl gehen lassen, die darin ihren Schutz suchen und sich dafür halbherzig oder inbrünstig seiner Ordnung unterwerfen. Doch all die Regeln und Gesetze, die Strukturen und Prozesse, die nötig sind, den Betrieb des Schlosses am Laufen zu halten, haben schließlich dazu geführt, dass die Verbindung zum (weiblichen) Wald erst durch Jäger formalisiert und dann ganz verloren wurde.
Ist das nicht, was so viele Männer erleben? Sie traben in der Tretmühle ihres Jobs, um die Familie zu versorgen und zu beschützen, aber sie entfremden sich dabei eben dieser Familie. Zuhause sind sie zu erschöpft, an der Entwicklung ihrer Kinder wirklich teilzunehmen. Sie ziehen sich in ihre Männerwelt von Fußball, Auto und Computer zurück und verlieren die herzliche Verbindung zu ihrer Frau, werden im Trott zum Trottel.
Das Weibliche ist abgespalten, formalisiert, tabuisiert, und beide Sphären existieren nebeneinander her. Die Distanz und die mechanisierten Verhaltensweisen lassen die Situation gänzlich erstarren. Dadurch wird sie zwar aufrecht erhalten, aber Entwicklung findet nicht mehr statt. Erst ein äußeres Ereignis, zum Beispiel in Form einer dritten Person, oder ein Unfall, ein Schicksalsschlag wird diese innerlich tote Beziehung wieder in Bewegung und damit ins Leben bringen.
In diesem Märchen ist das ein Mann. Ein Mann der keine Furcht kennt. Warum? Vielleicht, weil er nichts zu verlieren hat. Ein Mann, der eine Versorgung sucht. Also kennt er doch die Furcht, die Furcht nicht versorgt, nicht abgesichert zu sein: Existenzangst?