Unter
dem Kopfkissen der Mutter liegt der Schlüssel
Dass
Männer nicht unbedingt immer das starke Geschlecht sind,
hat sich herumgesprochen, doch was ist es, das dem Mann immer
wieder zur Emanzipation fehlt? Wieso brauchen Männer
Hilfe? Und warum wird sie ihnen heute so selten gewährt?
Dieses Märchen zeichnet den Weg eines Mannes vom Knaben
bis zum erwachsenen Mann, vom Prinzen zum König. Es zeichnet
diesen Weg in Etappen der Persönlichkeitsbildung, wie
sie von einer kulturellen Gemeinschaft bereitgestellt werden
sollten. Die Werte- und Orientierungslosigkeit junger
Männer ist auch Folge eines Mangels an männlicher
Einweihung und geistiger Führung. Doch wo sie nicht da
ist, so lehrt uns der Eisenhans, musst du sie ergreifen, wenn
sich die Gelegenheit bietet. Nimm den Schlüssel und lass
Deinen Eisenhans frei!
Was ist das für einer, so ein
Eisenhans?
Es gibt viele Märchen, die ihren
Titel von der Person haben, von der sie handeln. Dieses Märchen
handelt demnach von einem oder dem Eisenhans. Aber ist das
nun der Sohn des Königs oder der Kerl im Pfuhl?
Was ist das wohl für einer, der Eisenhans gerufen wird?
Sein richtiger Name ist wohl Hans, und der Zusatz Eisen soll
diesen Hans charakterisieren. Vielleicht ist Hans Schrottsammler
oder Schmied.
Wenn er mit Eisen zu tun hat, dann haben wir eine Vorstellung,
wie er aussieht, denn dazu gehört viel Körperkraft.
Aber vielleicht sagt uns der Namenszusatz auch, dass Hans
eisenhart ist, ein »Ironman«, der sich das Letzte
abverlangt. Vielleicht übt er auch eiserne Disziplin,
regiert mit eiserner Faust oder kehrt mit dem eisernen Besen
aus. Oder ist er ein Eisenfresser?
Auch von diesem Hans haben wir ein Bild. Er ist so ein rechter
Kerl, der was wegstecken kann, aber auch austeilen. Er ist
hart gegen sich selbst und mehr noch gegen andere. Für
Gefühle in ihrer ganzen Bandbreite ist da kein Platz.
Für einen Eisernen gibt es nur Körperschmerz oder
trunkenen Triumph, für die »gefühlsduseligen«
Facetten dazwischen sind »die Weiber« zuständig.
Die Welt des Eisenhans wird mit Angst regiert. Unter dem Druck
der vermeintlichen Realitäten verwandeln sich frische
Jungker und zarte Jungfern in Eisenmänner und -frauen,
in Machtpolitiker, Börsenhaie, Workaholics, Prostituierte,
Schwerverbrecher und regieren diese Welt und ihre Schlagzeilen.
Dann ist der »Eisenmann« eine (unsichtbare) Berufskleidung
wie der »Blaumann«. Doch so ein Eisenhans schafft
es selten, seinen »Eisenmann« auch mal auszuziehen.
Dazu braucht der geharnischte Ritter Hilfe.
Die Abspaltung
Ein idyllisches Bild tut sich auf.
Da ist ein König in einem Schloss und dabei liegt ein
großer Wald. Hier der Hort der Kultur, der Ordnung,
des geregelten Lebens, wohlgeleitet von einer erhabenen Person,
dem König; dort die Natur, das Wuchern, die chaotische
Kreativität.
Wie selbstverständlich bedient sich der König aus
seinem Wald. Er schickt einen Jäger ein Wild
schießen und der kehrt nicht zurück.
Der König ist arglos, denkt an ein Unglück. Der
Jäger könnte sich doch auf und davon gemacht haben
oder freiwillig im Wald geblieben sein. Doch der König
ist zu selbstherrlich, solche Gedanken zu hegen. Er betrauert
nicht einmal den Verlust. Er schickt weitere Jäger, die
Sache zu klären. Doch keiner kommt zurück. Die letzte
Verbindung, die dem König zum Wald geblieben war, zerreißt,
aber ihn scheint das weiter nicht zu bekümmern. Uns wird
lediglich berichtet, dass sich nun niemand mehr in den Wald
wagte. Der Wald wird tabuisiert, wird abgegrenzt, wird zum
verbotenen Ort.
Doch was ist mit dem Wald? Wird er als finsterer, schrecklicher,
bedrohlicher Ort beschrieben? Im Gegenteil, in tiefer Stille
und Einsamkeit liegt er da, jungfräulich und unberührt,
wie in Meditation versunken. Als warte er nur darauf, (wieder-)
entdeckt zu werden. Zuweilen sieht man einen Adler oder Habicht
darüber fliegen. Den natürlichen Frieden des Waldes
unterstreicht das.
Vögel symbolisieren Freiheit, Freiheit der Gedanken,
weil sie keine Grenze, keine Regel, kein Gesetz aufhalten
kann. Hier ist es der Wald, der abgegrenzt, verboten wurde.
Das zuvor so routinierte Spiel zwischen Schloss und Wald wurde
durch irgendwas irgendwie gestört. Der Wald hat sich
dem jagenden, raubenden Zugriff verweigert. Also haben ihn
die kultivierten Schloss-Leute ausgegrenzt. Nur die Vögel,
die freien Gesellen, haben noch ungestraften Zugang.
Wozu? Zum Wald, zum Schoß der Natur, wie er auch genannt
wird. Die dunkle, ewig und endlos sprudelnde Quelle des Lebendigen,
das Urmütterliche, durchatmet und durchwebt den Wald.
Das Schloss steht für das gerinnende Männliche,
die Ordnung, das Geregelte, Sicherheit und Beständigkeit.
Der Wald ist das wirkende Weibliche, das Gären und Brodeln,
das Werden und Vergehen, die Hingabe an das Sein.
Der König hat mit der (männlichen) Macht seines
ordnenden Verstandes ein gar prächtig Schloss gebaut,
in dem es sich alle nur so recht wohl gehen lassen, die darin
ihren Schutz suchen und sich dafür halbherzig oder inbrünstig
seiner Ordnung unterwerfen. Doch all die Regeln und Gesetze,
die Strukturen und Prozesse, die nötig sind, den Betrieb
des Schlosses am Laufen zu halten, haben schließlich
dazu geführt, dass die Verbindung zum (weiblichen) Wald
erst durch Jäger formalisiert und dann ganz verloren
wurde.
Ist das nicht, was so viele Männer erleben? Sie traben
in der Tretmühle ihres Jobs, um die Familie zu versorgen
und zu beschützen, aber sie entfremden sich dabei eben
dieser Familie. Zuhause sind sie zu erschöpft, an der
Entwicklung ihrer Kinder wirklich teilzunehmen. Sie ziehen
sich in ihre Männerwelt von Fußball, Auto und Computer
zurück und verlieren die herzliche Verbindung zu ihrer
Frau, werden im Trott zum Trottel.
Das Weibliche ist abgespalten, formalisiert, tabuisiert, und
beide Sphären existieren nebeneinander her. Die Distanz
und die mechanisierten Verhaltensweisen lassen die Situation
gänzlich erstarren. Dadurch wird sie zwar aufrecht erhalten,
aber Entwicklung findet nicht mehr statt. Erst ein äußeres
Ereignis, zum Beispiel in Form einer dritten Person, oder
ein Unfall, ein Schicksalsschlag wird diese innerlich tote
Beziehung wieder in Bewegung und damit ins Leben bringen.
In diesem Märchen ist das ein Mann. Ein Mann der keine
Furcht kennt. Warum? Vielleicht, weil er nichts zu verlieren
hat. Ein Mann, der eine Versorgung sucht. Also kennt er doch
die Furcht, die Furcht nicht versorgt, nicht abgesichert zu
sein: Existenzangst?
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